Erfurt 1922 – Bonn 2003
Annemarie Schimmel wusste schon als junges Mädchen, dass sie Professorin an einer Universität werden wollte. Mit 16 machte sie Abitur, mit 23 war sie Professorin in Marburg, dann in Ankara, schließlich 25 Jahre in Harvard, bevor sie nach Bonn ging. Sie war ein Sprachgenie - neben Deutsch, Englisch, Französisch und Türkisch sprach sie Arabisch, Persisch, Urdu und Punjabi - und ihr Interesse galt der gesamten muslimischen Welt. Ihre große Leidenschaft galt Pakistan und dem Philosophen Igbal sowie Goethe, der durch seinen Kontakt mit dem Perser Hafis die Gedichtsammlung West-östlicher Divan herausgab. Goethes Gedichte spiegeln seine Überzeugung wider, dass sich unterschiedliche Kulturen begegnen und verstehen können. Das macht auch Annemarie Schimmel so bemerkenswert. Sie wandelte zwischen den Welten, lehrte die Hälfte des Jahres in Harvard und reiste und forschte die anderen sechs Monate im Orient. Sie war die „First Lady“ unter den Experten und es gibt zahlreiche Aufzeichnungen ihrer Vorträge, die sie bis kurz vor ihrem Tod weltweit gehalten hat (inzwischen auf youtube).
Interview mit Annemarie Schimmel Audio-Gespräch aus dem ZDF von 2001 mit Christa Schulze-Rohr
Sie hat mehr als 50 Bücher und Hunderte von Artikeln über islamische Literatur, Mystik und Kultur veröffentlicht und Gedichte und Literatur aus dem Persischen, Urdu, Arabischen, Sindhi und Türkischen ins Englische und Deutsche übersetzt. Ihr Interesse an Mystik führte zu einem Buch über Zahlensymbolik in verschiedenen Kulturen. Ihre große Leidenschaft aber gilt dem Sufismus, der mystischen Richtung des Islam. Selbst von führenden Sufis wurde sie als eine der besten Kennerinnen ihrer Geschichte und Tradition anerkannt. Sie zeigte auch, dass im frühen Islam Frauen wichtige Mystikerinnen waren, wie Rabia von Basra (Irak) 718 bis 801 n. Chr. Sie zog aber auch Parallelen zu deutschen Mystikerinnen wie Mechthild von Magdeburg im 13. In der islamischen Welt trat sie als Hauptrednerin auf Konferenzen auf und pflegte Kontakte zu Politikern, Wissenschaftlern und Geistlichen. Ihre vielen Schüler tragen ihre Erkenntnisse in die Welt.
Woher kamen Talent und Interesse?
Schimmel wurde als Kind protestantischer und hochkultivierter bürgerlicher Eltern in Erfurt geboren. Ihr Vater Paul war Postbeamter und ihre Mutter Anna stammte aus einer Familie, die mit der Seefahrt und dem internationalen Handel verbunden war. Sie erinnerte sich auch daran, dass es in ihrem Elternhaus viel Poesie und Literatur gab, obwohl ihre Familie keine akademische war.
1929, also mit sieben, erkrankte Schimmel und sie müsste länger zu Hause bleiben. In dieser Zeit erzählte ihr die Mutter einige orientalische Märchen. In ihrer Biografie schrieb sie dazu: „In diesem Moment wusste ich ..., dass hier mein Weg war: Der Orient war das Ziel, der Orient der mystischen Weisheit.“ Von dieser Zeit an las Schimmel auch selbst viel über den Orient und kleidete sogar ihre Puppen orientalisch. Ab 1932 besuchte Schimmel das Goethe-Lyzeum. Als fünfzehnjährige Schülerin begann Annemarie Schimmel Arabisch bei Hans Ellenberg zu lernen, der gleichzeitig Lektor an der Friedrich-Schiller-Universität Jena war.
1946 wurde sie im Alter von 23 Jahren Professorin für Arabistik und Islamwissenschaft an der Universität Marburg. In Marburg promovierte sie 1954 ein zweites Mal in Religionswissenschaft. Ein Wendepunkt in Schimmels Leben kam 1954, als sie als Professorin für Religionsgeschichte an die Universität Ankara berufen wurde. Fünf Jahre verbrachte sie in der türkischen Hauptstadt, lehrte auf Türkisch und tauchte in die Kultur und mystische Tradition des Landes ein. Sie war die erste Frau und die erste Nicht-Muslimin, die an der Universität Theologie lehrte, obwohl es bereits einige Professorinnen und sogar eine Dekanin gab. Während dieser Zeit heiratete sie einen türkischen Ingenieur, doch die Ehe hielt nicht lange.
Harvard-Universität (1967-1992)
1967 gründete sie das Programm für indo-muslimische Studien an der Harvard University und blieb die nächsten 25 Jahre an der Fakultät. Während sie auf dem Harvard-Campus lebte, reiste Schimmel häufig nach New York City, wo sie als Beraterin des Metropolitan Museum of Art für ihre Fähigkeit bekannt war, Manuskripte und Objekte anhand ihres Kalligraphiestils zu datieren. Ihr Gedächtnis für kalligraphische Stile war fast fotografisch. Später lehrte sie unter anderem am Ismailitischen Institut in London (1982-1983) und an der Universität Edinburgh (1992-1993). Nach ihrer Emeritierung in Harvard wurde sie 1992 zur Professorin emeritus für indisch-muslimische Kultur ernannt. Während dieser Zeit war sie auch Honorarprofessorin an der Universität Bonn, wo sie bis zu ihrem Tod 2003 lebte.
Oft wurde sie von Muslimen und Nichtmuslimen gefragt, ob sie Muslimin sei oder nicht. In solchen Fällen gab sie lieber eine ausweichende Antwort, indem sie zum Beispiel sagte, dass nur diejenigen wirklich gute Muslime sein können, die sich nicht sicher sind, ob sie gute Muslime sind oder nicht.
(Ich habe Annemarie Schimmel anläßlich eines Vortrages bei der "Gesellschaft für Völkerkunde" in Köln im Rautenstrauch Jost Museum kennengelernt - das hat mich sehr beeindruckt und deshalb bekommt sie den Platz in der Hall of Fame. Claudia Schmitz)
Video vom Vortrag an der Universität Eichstätt 1998 auf youtube
ISLAM und EUROPA, Vortrag 90Min. Annemarie Schimmel 1998, Sufismus, Sufi, Der Prophet Mohammed
https://www.youtube.com/watch?v=d0y2ZAa2wxs
“The Poet’s Geography”, by Professor Annemarie Schimmel in London, about the treatment of Animals – as mentioned in the Koran https://www.youtube.com/watch?v=0fWVhVqZ43A
“The Secrets of Creative Love: The Work of Muhammad Iqbal” This public lecture was delivered by the German orientalist, Professor Annemarie Schimmel, on 11th of November 1996, at the lecture theatre in Victoria & Albert Hall in London. It is about the Philosopher and Poet Igbal, born 1877 in Pakistan .The lecture is printed in a book, and can be found at Al-Furqan's website: http://www.al-furqan.com/publication/...
Buch: Rumi - Von allem und vom einen - Annemarie Schimmel