EWMD-Society freut sich sehr, diesen Gastbeitrag von Thomas Sattelberger hier in der Hall of Fame zu veröffentlichen. Wir ehren Thomas Sattelberger für sein Engagement beim DAX-Unternehmen Deutsche Telekom. Er hat hier die Frauenquote eingeführt - gegen alle Widerstände, vor allem von extern. Er beschreibt in diesem Beitrag sein Leben - seine Erfahrungen und seine Einstellungen. Wir danken der Redaktion von WiWo und dem Verlag Handelsblatt für die freundliche Genehmigung, den Beitrag hier zu veröffentlichen.
Thomas Sattelberger: Steueranreize für Frauenförderungen würden helfen – weil die Wirtschaft so tickt (Gastbeitrag)
16. März 2021, Autor: Claudia Tödtmann
Gastbeitrag zur Frauenförderung von Thomas Sattelberger, Sprecher der FDP-Fraktion für Innovation, Bildung und Forschung und Ex-Telekom-Vorstand: Reflexionen zum elften Jahrestag der Telekom-Frauenquote und dem ersten Fidar-Forum. Worin er die Lösung sieht: Steueranreize
"Ich bin ein Fan von Karl E. Weick. Dieser große alte Organisationsforscher hat an der University of Michigan die Weisheit „Drop your tools“ geprägt. Als Rat an all jene, die auf kritischem Terrain mit ihrem traditionellen Handwerkszeug nicht weiterkommen.
In diesem Sinne haben wir in den Iden des März 2010, auf den Tag genau vor elf Jahren, die erste Quote eines Dax-Konzerns aus der Taufe gehoben. Unsere freiwillige Selbstverpflichtung auf eine Frauenquote im Führungskörper habe ich damals am selben Tag auf dem Fidar-Forum 2010 verkündet. Diese Entscheidung kommt der Telekom bis heute zugute; nicht zuletzt als attraktiver Arbeitgeber und erst recht beim Geschäftserfolg.
Als meine Mutter noch die Erlaubnis brauchte, um arbeiten zu dürfen
Der vorangegangene Weg war lang. Auch für mich. Früh geprägt hat mich meine Mutter. Nach der Geburt ihrer beiden Söhne lag sie Ende der 1950er Jahre meinem Vater monatelang in den Ohren, dass sie wieder in ihren geliebten Lehrerinnenberuf zurückkehren wolle. Damals benötigten Ehefrauen für eine solche Entscheidung noch die schriftliche Erlaubnis des Gatten.
Monika Rühl von der Lufthansa hat mich weichgekocht
1995 war es die Frauenbeauftragte der Lufthansa, Monika Rühl, die sich von meinem anfänglichen Widerstand nicht beeindrucken ließ. Immer wieder bekniete sie mich, das Thema Personalentwicklung für Frauen aufs Gleis zu setzen. Monika Rühl war eine der ersten Frauenbeauftragten der Republik. Irgendwann hatte sie mich mit ihrer Zähigkeit weichgekocht. So überzeugt wie heute war ich damals noch nicht. Aber wir haben als erstes Unternehmen in Deutschland ein „Cross-Company Mentoring“-Programm für weibliche Führungskräfte initiiert.
Mit solchen avantgardistischen Ideen im Tornister besuchte ich wenige Monate später einen internationalen Diversity-Kongress in Paris. Unter mehreren hundert Teilnehmern war ich der einzige Vertreter eines deutschen Unternehmens.
Das erste deutsche Firmenfrauennetzwerk
Als Personalvorstand der Continental AG rief ich ab 2003 das erste deutsche Firmenfrauennetzwerk ins Leben. Weil ich mich für den Begriff „Quote“ genierte, sprachen wir von „Orientierungswerten“ bei der Zahl weiblicher Führungskräfte in Werken und Entwicklungszentren.
Bei der Telekom beschloss ich dann, das Thema ultimativ anzupacken. 2007 habe ich auf einem internationalen Frauenkongress in Berlin versprochen, dass ich nach Ablauf von drei Jahren eine Quote im Konzern einführen würde, falls sanftere Maßnahmen nicht greifen. Und so kam es. Mit Coachings, Mentorings und Neujahrsappellen allein schafften wir es nicht, den Frauenanteil unserer Führungskräfte signifkant zu erhöhen. Also: „drop your tools“ und stattdessen die Quote.
Viele fragen sich, warum „Chancenfairness für Frauen“ es in Deutschland noch schwerer hat als etwa in Skandinavien oder vielen englischsprachigen Ländern. Ich glaube, dass vor allem die Nazi-Zeit mit ihren Geschlechterstereotypen weit über die 1950er Jahre hinaus nachgewirkt hat: der heroisch-führende Krieger und die Frau als euphemisierte „Seele der Familie“, zuständig für Kinder, Küche, Kirche. Ein Bild, das sich über Generationen vererbt hat – im 20. Jahrhundert nur punktuell ernsthaft attackiert zu APO-Zeiten in den 60er und 70er Jahren.
Menschen als Rädchen im Getriebe
Zum anderen ist unser Wirtschaftsstandort seit mehr als 100 Jahren geprägt von industrieller Massenproduktion. Nicht nur an der Art und Weise des Schulunterrichts hierzulande merkt man: Menschen sind in einem solchen System Rädchen im Getriebe und gehalten, reibungslos zu funktionieren. Nachlesen kann man das in jedem Standardarbeitsvertrag, der Arbeitnehmern abverlangt, ihrem Arbeitgeber die „volle Arbeitskraft“ zur Verfügung zu stellen. Teilzeitarbeit und Schwangerschaften sind in einem solchen System primär Irregularitäten, die Produktionsprozesse stören.
Während Deutschland noch immer ein Massenproduktionsland ist, haben andere Volkswirtschaften längst den Wandel zur software-geprägten HighTouch-Dienstleistungsgesellschaft eingeleitet – mit vielen Führungsjobs für Frauen!
So meine Erfahrungswerte. Es gibt sicher noch viele andere Faktoren. Jedenfalls hat nun die Politik Anfang 2021 eingegriffen, weil die deutsche Wirtschaft es alleine nicht richten konnte. Es ist schon der zweite staatliche Eingriff nach der 30-Prozent-Quote für Aufsichtsräte vor einigen Jahren.
Die neue Frauenquote für Vorstände wird keinen Durchbruch bringen
Was wird die neue Frauenquote für Vorstände bewirken? Ich fürchte: wenig bis nichts! Sie wird in den Unternehmen nicht den Durchbruch bringen hin zu einem von Diversity geprägten Management-Team. Sondern allenfalls eine weibliche Leistungselite aus ein paar mehr Frauen in Vorstandsjobs.
Ich bin so skeptisch, weil die neue Maßnahme auf denselben Argumenten fußt wie die Frauenquote für Aufsichtsräte von 2016. Schon damals haben die Befürworter auf den Trickle-down-Effekt gehofft. Frauen fördern Frauen! Aufsichtsrätinnen sollten Türöffner sein für eine chancenfaire Kultur mit dem Ziel, dass vor allem das Management in Unternehmen weiblicher wird. Aber die Hoffnung hat sich nicht erfüllt. So kommt nun die Frauenquote eine Ebene drunter: im Vorstand.
In alten Kulturen agieren Männer und Frauen an der Spitze gleich
Aber mehr vom Gleichen hilft bei wirkungsloser Medizin leider nicht. Dieses Prinzip hat neben Karl E. Weick auch Paul Watzlawick bestens beschrieben in seinem Buch „Anleitung zum Unglücklichsein“. Die Sozialisation im Top-Management ist stärker als guter Wille. Culture eats diversity for breakfast! In alten Kulturen agieren Männer und Frauen an der Spitze gleich: homogenisierend und direktiv.
Den Fuß in die Tür bekommt man nur über eine Zangenbewegung: Symbolik an der Spitze und systematischer Wandel der Unternehmenskultur bottom-up. Ich sage seit 2010 gebetsmühlenartig: „Chancenfairness für Frauen wird nicht quotiert, sondern geführt.“
Steueranreize würden wirken
Die staatliche Zuchtpeitsche führt zu innerem Widerstand. Wenn der Staat schon agieren soll – dann wären etwa steuerliche Anreize für Unternehmen, die ihre Teams diverser aufstellen, sinnvoller. Denn so tickt Wirtschaft in der Praxis.
Darüber hinaus gilt: Die Themen Chancenfairness und Mixed Leadership beruhen auf drei Dimensionen: (1) dem moralischen Case von Gleichstellung und Gleichberechtigung, (2) dem Business Case mit Fokus auf Geschäftserfolg und (3) dem organisatorischen Case mit höherer Krisenstabilität, Innovationsfähigkeit und Resilienz. Wir werden nicht weiterkommen, wenn wir nicht alle drei Dimensionen im Blick haben. Nur die Moral zu bedienen, greift zu kurz.
Systematisches Talentmanagement von unten nach oben ist unabdingbar
Hinzu kommt, dass die reine Symbolik von Frauen an der Spitze, also Politik von oben nach unten, nicht greift. Wir brauchen gleichzeitig systematisches Talentmanagement von unten nach oben. Wer sich neurotisch an die Quote klammert als conditio sine qua non, ist auf dem Holzweg. Leider ist gründliche Kulturpolitik derzeit nicht die Stärke deutscher Unternehmen und ihrer Personal- und Transformationsabteilungen.
Zudem: Mit einseitigen Koalitionen, etwa zwischen Frauenbewegung und eher linken politischen Kräften, werden weder Chancenfairness für Frauen noch Diversität hierzulande skalieren.
Große gesellschaftliche Herausforderungen gelingen dann, wenn Mandat der Politik, Engagement der Zivilgesellschaft und Skalierungskraft der Wirtschaft Hand in Hand zusammenarbeiten und keine Ebene die andere unterjocht. Auf Managerdeutsch formuliert: wir brauchen eine cross-sektorale Kooperationsfähigkeit der Akteure."